Die Pandemie wütet weiter, die Inzidenzen so hoch wie nie. Um euch die Zeit ein bisschen zu versüßen teilen wir anlässlich des feministischen Kampftages 8. März ’22 Bücher die wir gelesen und für gut befunden haben oder Bücher die wir bald lesen wollen 🙂 Thematisch passend ja sowieso.

Bodentiefe Fenster von Anke Sterling

Anke Sterling hat in ihrer lebendigen Gegenwartsliteratur weniger über das aufgeklärte Bewusstsein des linksliberalen Bürger_innentums (im selbstverwalteten Gemeinschaftshaus) als vielmehr über dessen Untiefen und Hervorbringungen geschrieben. Über die Auseinandersetzung mit Mutterschaft, Elternsein und Kindererziehung übt sie auch Kritik am Erbe der 68er Bewegung und deren emanzipatorischen Ideen von Freiheit und Selbstbestimmung. In punktgenauen Dialogen und vor allem innerer Monologform zeigt es als Spiegelbild dieser Gesellschaft kleine egozentrische grenzlose Diktatoren und deren ansichselbstimmerfortzweifelden und ausgebrannte Elternteile. Gleichzeitig beleuchtet es die heiklen Gewässer gemeinschaftlichen Zusammenlebens in Kommunen, Hausprojekten und Gruppen…wie frei darf die einzelne sein und ist diese Freiheit die Unfreiheit der Anderen?

„Warum lässt Tinka Franz mit Saft rumschütten, wenn doch sie diejenige ist, die den Dreck hinterher wieder wegmachen muss? Ich versuche, ruhig und tief zu atmen.“ Warum darf das Kind der Schwester auch im tiefsten Winter ohne Gummistiefel rumlaufen „einfach weil es doch nunmal nicht will“. Und wer ist schuld, wenn diese zwanglos aufwachsenden Kinder verdammt noch mal nicht glücklich sind? Die Protagonistin erzählt von der mütterlichen Ratlosigkeit, den erschöpfenden Versuchen, Erziehung, Arbeit und Privatleben irgendwie zusammenzubringen und die Verantwortlichkeiten dabei immer neu aushandeln zu müssen. Es scheint als entwickelt sie eine Selbstkontrolle, die strenger ist als jede Regulierung von außen. Vor allem die Selbstkontrolle und das Scheitern an den eigenen Ansprüchen dürfte doch einigen Elternteilen, Pädagog_innen, Feminist_innen und Menschen der Linken sehr bekannt sein 😉

Annette – ein Heldinnenepos von Anne Weber

Von einer befreundeten Person empfohlen, als Geschenk gekauft, hab ich den mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnete Epos in der Iso weggesuchtet. Anders als das große Wort Epos zu erwarten lässt, liest das Buch sich angenehm und rasch. Geschickt formuliert die Autorin aus Distanz und doch gleichzeitig so nah Weltgeschichte des vergangenen Jahrhunderts und die Überzeugungen, Zweifel und Kritikpunkte an und der Protagonistin. Auch findet sich eine differenzierte politisch-kritische Betrachtung wie etwa zu Kolonialismus Frankreichs oder Sexismus in linken Bewegungen ohne dabei PC-Keulen zu schwingen.

Und manchmal geht selbst der wortgewandten Autorin der Vers aus: „Die Tür hat sich hinter den dreien längst geschlossen, / da steht er noch und möchte weinen weinen weinen / und wir, wir stehen in der fernen Zeit und stehen / und finden keinen Satz und keinen Vers und keine / Zeile, die etwas anderes möchte als zu stehen mit ihm / und zu weinen“.

Fasziniert und inspiriert hat mich nicht nur die seltene gelungene literarische Gattung, sondern ebenso das Leben und Wirken der Anne Beaumanoir. Als Kämpferin in der Résistance gegen die Nazis oder im besten (wenn auch verfehlten) Willen in Algerien einen Kommunismus zu unterstützen. Beeindruckend, mit wieviel Glaube, Idealismus und Überzeugung Menschen bis ans äußerste gehen, ihr eigenes Glück und gar Leben zurück stellen gegen Unterdrückung und für die Menschheit. Aus meiner Perspektive eine mutmachende Erzählung.

Alles über Liebe von bell hooks

….liegt auf meinem Bücherstapel ganz oben. Warum ich es lesen möchte?

Ich verspreche mir von dem vor 20 Jahren erschienenen und nun in Deutscher Sprache erhältlichem Buch der Schwarzen Feministin und intersektional wirkenden Wissenschaftlerin eine Gesellschaftsvision der widerständigen Kultur, des kritischen Bewusstseins von macht und Dominanz und der „transformative Kraft“ der Liebe. Bei all dem Kämpfen fehlt mir in Zeiten von Schwurblern und Nazidemos, von Kriegsgebahren, pandemischen Tod, und kollektiven Narzissmus ein Gegengewicht, eine Perspektive die auch Zusammenhalt, Gerechtigkeit, die Zuwendung, Solidarität, Wohlwollen sich und anderen gegenüber, Achtsamkeit (auch im Sinne von aufeinander Acht geben) und Zärtlichkeit in den Fokus rückt. Ich bin inspiriert von Audre Lorde auf der Suche nach etwas anderem, einem mehr, einem plus als Antrieb für politische Kämpfe.

Ich stelle mir vor, dass es in dem Buch um Liebe nicht als reine Fürsorge geht, nicht als esoterische spirituelles Geschwätz, nicht als alles(er)klärender Reigen, sondern dass diese Auseinandersetzung mit Liebe auch die Verbindung zu Rassismus, Sexismus, Kapitalismus und Heteronormativität zieht und dem Liebe als etwas politisches vielleicht auch Ethisches entgegenstellt.

„Wenn wir lieben, bringen wir offen und aufrichtig Fürsorge, Zuneigung, Verantwortung, Respekt, Hingabe und Vertrauen zum Ausdruck.“

Die Hälfte der Sonne von Chimamanda Ngozi Aidichie

Das Buch war letzten Sommer meine Urlaubslektüre. Erholt fühlte ich mich danach allerdings nicht. Ich war so tief eingesogen in die Geschichte ich konnte garnicht mehr aufhören zu lesen. Eine Geschichte über den blutigen Bürger_innenkrieg – auch als Erbe der Kolonialzeit – in Nigeria der sechziger Jahre, dessen Hungerbauchkinder-Fotos die Abbildungen von „Afrika“ lange prägten, wie ich darin lernte. Dort wurde für ein unabhängiges Biafra als Schutzraum für die Minderheit der Igbo gekämpft. Es kamen 2 Millionen Igbo ums Leben. Bis heute wurde das in Nigeria nicht aufgearbeitet.

Die Geschichten der ungleichen Schwestern Kainene und Olanna sind gekonnt miteinander verwoben und nehmen uns – auch unter Verwendung vieler geläufiger herkunftsprachlicher Begriffe – mit in eine von Rassismus, Korruption, Krieg und Volksruppenhass geprägten Welt. Es geht aber auch um Liebe, Ideale und Loyalität. Ich habe so vieles nicht gewusst und so viel (darüber) gelernt in und von diesem Werk und werde es sicher nicht das letzte mal gelesen haben.

Auspowern und Empowern – Eine Ethnografie queerer Fitnesskultur von Corinna Schmechel

Cora’s Dissertation liegt ebenso auf meinem Bücherstapel. Die Überlegungen und Erforschung zur Verbindung von Körper(arbeit), Gefühlen und Empowerment macht es für mich so einzigartig. Klassiker und wichtige Wegbereiter_innen der Genderwissenschaften, intersektionaler und kritischer Theorie und Subjektwissenschaften, aber auch emotionstheoretischen Überlegungen wie z.B. von Sarah Ahmed sind hier m.E. gelungen und am konkreten Thema queerer Fitnessgruppen aufbereitet. „Die Normen der antinormativen Körpergefühlsarbeit“, also auch die beständige Arbeit an sich selbst werden entlang von Werbematerial, Umkleiden, Hallen und eigenen Körperidealen der Befragten herausgearbeitet. Super Cora!

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